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05. − 06. Dezember 2017 / 20:30
Wachter + Winkler + Scafati
Balé Teatro Guaíra tanzt „Wachter – Winkler - Scafati“

> schwere reiter


Drei deutsche Choreografen arbeiteten im August 2016 zusammen mit den Tänzerinnen und Tänzern des brasilianischen Balé Guaíra in Curitiba (Brasilien) an drei Choreografien:

„I share“, von Katja Wachter (München) beschäftigt sich mit der neuen Dimension des Wortes „Teilen“. Freunde, Daten, Musik, Wohnungen – wir teilen uns selbst. Das Stück erkundet verschiedene Aspekte der heutigen teilenden Individuen: Ich teile, deshalb bin ich.

„lost my choreographer on the way to the dressing room”, von Christoph Winkler (Berlin) zeigt auf, dass sich die Beziehung zwischen Tänzer und Choreograf in den letzten Jahren merklich geändert hat und stellt sich u.a. die Frage, wie man den kreativen Prozess am besten organisiert.

„CHARME“, von Roberto Scafati (Ulm) sieht spontane Anziehung als Geschenk, ist eine Kraft, intelligent und emotional. Charme durchbricht Barrieren. Charme kann überall sein, sobald jemand bereit ist, diesen anzunehmen.

Mit diesen Stücken ist das berühmte Balé Guaira erstmals in Deutschland zu sehen.



Näheres zu Choreograf_innen und Stücken

Katja Wachter studierte Tanz an der London Contemporary Dance School, sie tanzte in mehreren englischen und deutschen Kompanien, fing aber schon früh an, eigene Projekte zu realisieren. Ihre erste Choreographie "I apologize" wurde bei der Tanzplattform Deutschland 1994 in Berlin gezeigt und ihr Stück "Almost" wurde 1995 als deutscher Beitrag für "bancs d´essai internationaux", eine fünf-Länder-Tournee, ausgewählt. Im selben Jahr gründete sie ihre Kompanie "Selfish Shellfish" in München. Seit dem arbeitet sie an umfassenderen Produktionen. Ihre Choreographien wurden in verschiedenen Ländern Europas, außerdem in Russland, Kanada, den USA, Südkorea, Brasilien und Mexiko gezeigt. Wachter, die vielfach ausgezeichnet wurde, choreografiert zudem für Opern, Musical- und Theaterproduktionen.

Mit dem Balé Teatro Guaíra erarbeitete sie das Stück „I share“. Darin beschäftigt sie sich mit einem aktuellen Thema, dem „Teilen“. Diese hat durch die sozialen und politischen Entwicklungen eine neue Dimension bekommen. Andersherum bedeutete wiederum das Wort „Freund“ in der virtuellen Welt kaum mehr etwas. „Wir sind auf dem Weg alles zu teilen: Daten, Musik, Filme, Autos, Nachrichten, Wohnungen, Gärten, Essen, Kleider, Ideen – wir teilen uns selbst“, sagt Wachter. Allerdings ist Teilen kein selbstloser Akt, sondern wird zu einer narzisstischen Angewohnheit, Erfolg nun in „Klicks“ und „Likes“ und „Followers“ bemessen. Beschäftigt, unendlich Eigenwerbung zu betreiben, teilen sich Menschen virtuell in zahlreiche Identitäten. Technische Geräte sind wie Spiegel: Sie übertragen Bilder, die jeder so lange bearbeiten kann, bis er sie als perfekt empfindet. Das ständige Bedürfnis, alles zu teilen, Erfahrungen, Gefühle, was gefällt oder nicht, scheint mit einer Welt zu verbinden, in der alles Teil von allem und jedem ist. Doch wo bleibt die reale Kommunikation? Fällt sie der virtuellen zum Opfer? Das Stück erkundet verschiedene Aspekte der heutigen teilenden Individuen und deren permanenten Druck, von so vielen wie möglich gehört und bemerkt werden. „Ich teile, deshalb bin ich!“

Christoph Winkler begann in den Neunzigern als Performer in UndergroundTechnoclubs, bevor er Choreographie an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ studierte und Klangkrieg Produktionen, eine Plattform für experimentelle Musik, gründete. Seit 1998 arbeitet er als freischaffender Choreograph in Berlin. Winkler gilt als einer der vielseitigsten Choreografen Deutschlands. Sein Format- und Themenspektrum ist weit, es reicht vom Persönlichen über Politisches bis zu aktuellen gesellschaftlichen Diskursen. „Dance! Copy! Right?“ handelt etwa vom Urheberrecht, “RechtsRadikal” von rechten Frauen. Unter seinen Auszeichnungen ist der FAUST Preis des Deutschen Bühnenvereins in der Kategorie „Beste Choreografie“ für „Das Wahre Gesicht - Dance Is Not Enough”. Darin inszeniert er humorvoll Formen von Protest. Winkler engagiert sich auch politisch mit seiner Agentur BERLIN GOGOS, um die wirtschaftliche Situation zeitgenössischer Tänzer zu verbessern.

Für das Balé Teatro Guaíra konzipierte Winkler „lost my choreographer on the way to the dressing room”. Darin spürt er der Beziehung zwischen Tänzer und Choreograf nach, die sich merklich geändert hat. Die Tänzer haben sich emanzipiert. Formen des mitbestimmenden Arbeitens gehören zum täglichen Leben des Zeitgenössischen Tanzes. Da kommen viele Fragen auf. Wie organisiert man den kreativen Prozess am besten? Wie geteilte Urheberschaft handhaben und wie funktioniert artistischer Austausch am besten? Das wiegt umso mehr, wenn sich Choreograf und Tänzer noch nie begegnet sind und trotzdem von ihnen erwartet wird, dass sie in kürzester Zeit Ergebnisse liefern. Winkler nutzt diese besondere Situation als Beginn für seine choreografischen Forschungen. Gemeinsam wurden vier „movement scores“, also Bewegungsmuster erarbeitet, die nun die Tänzerinnen selbst verantworten. Jeder basiert auf wenigen Angaben, etwa „mit Micro Movements, States, Bounce oder Flocking arbeiten“. Aufgabe der Tänzerinnen ist es, diese auf der Bühne umzusetzen. So entsteht eine „vorübergehende Gemeinschaft“, die versucht eine Frage zu beantworten: Wie tanzen wir zusammen?

Roberto Scafati wurde in Rom geboren und studierte in seiner Heimatstadt an der Scuola Italiana di Danza sowie bei Rosella Hightower in Cannes. Er tanzte am Teatro San Carlo Neapel und am Teatro dell Opera Rom. Danach war er von 1994 bis 2003 als Solotänzer am Ulmer Ballett, dessen Ballettdirektor er seit fast neun Jahren ist. Bereits Mitte der Neunziger Jahre begann er regelmäßig an verschiedenen Theatern zu choreografieren, wie etwa am Theater Brest (Frankreich), Theaterhaus Ankara (Türkei) und Curitiba Balé de Guaíra (Brasilien). Zu seinen zahlreichen Stücken zählen „Rinnovazione“, „Le Sacre du Printemps ...Plus“, „in sich selbst“, „Treibgut“ oder „Carmen & Bolero“. Scafati ist vielfach ausgezeichnet, unter anderem war er Finalist in Stuttgart beim Internationalen Solo-Tanztheater-Wettbewerb in der Kategorie Choreografie.

„Charme“ heißt der Beitrag von Roberto Scafati für das Balé Teatro Guaíra, ein Stück über die spontane Anziehung. Diese sieht Scafati als ein echtes Geschenk, das Menschen geben oder erhalten können. Ein flüchtiger Blick, ein Lächeln oder einfach nur erspüren können, was ein anderer in einem bestimmten Moment braucht – das macht Charme aus. Für den Choreografen verbirgt sich dahinter eine Kraft, intelligent und emotional, welche Barrieren durchbricht – manchmal gleich beim ersten Treffen. Gesetzt den Fall, jemand ist bereit, darauf einzugehen. Zu den grundlegenden Zutaten des Charmes gehören Selbstbewusstsein, Furchtlosigkeit und positives Denken. Erlernt werden können sie nur, wenn man jemanden die Chance dazu gibt.
 Manchmal scheint es, als ob nicht nur Menschen diese Magie hätten, sondern auch einfachste, unerklärliche Naturphänomene. Gibt es einen speziellen Charme unter Blumen und Steinen, Feuer und Wasser, Sonne und Eis? Scafati ist überzeugt:
 Charme kann überall sein, sobald jemand bereit ist, diesen zu entdecken, zu bergen und ihn anzunehmen. Er ist ein Phänomen, eine Bewegung, eine Öffnung – auf jeden Fall ein Anfang.


Die Aufführung im schwere reiter ist Teil der Europa-Tournee des Balé Teatro Guaíra und wird produziert von ABABTG in Kooperation mit dem Teatro Guaíra Cultural Center und dem State Secretary of Culture of Paraná sowie dem Ministry of Culture of Brazil. Unterstützt wird die Tour unter anderem von dem Pequeno Príncipe Hospital, das größte Kinderkrankenhaus in Brasilien, vom Internationalen Solo-Tanz-Theater Festival Stuttgart, sowie der SoloConnection. Münchner Vorstellung in Kooperation mit schwere reiter TANZ, Tanztendenz München e.V. und gefördert durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München.


Spielort
schwere reiter
Dachauer Straße 114
80636 München
Tram 12, 20, 21 oder Bus 53
Haltestelle Leonrodplatz
www.schwerereiter.de


Kartenreservierung
Eintritt: 17,- / 10,- erm.
Reservierungen: 089 / 721 10 15 oder reservierung@schwerereiter.de

   

Tanztendenz München e.V. wird gefördert
durch das Kulturreferat der LH München
  Die Kompagnie Balé Teatro Guaíra (BTG)

Gegründet 1969 von der Regierung des Bundesstaats Parana hat sich das Balé Teatro Guaíra (BTG) zu einer der wichtigsten Kompanien Brasiliens entwickelt. Nicht zuletzt auch, weil die Truppe aus der Millionenstadt Curitiba im Kontext des brasilianischen Tanzes zu sehen ist. Über 140 Stücke zählen zum Repertoire des BTG, das sich einem breiten Spektrum des zeitgenössischen Tanzes verschrieben hat. Insbesondere Cintia Napoli, seit 2012 künstlerische Leiterin der Kompanie, bringt kühne, experimentelle Stücke auf die Bühne – dabei stets auf eine Verbindung zu Tradition und Geschichte achtend. So nahm sie 2012 Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ in das Repertoire – und gleichzeitig ein Stück der portugiesischen Avantgarde-Choreographin Olga Roriz. Im Jahr darauf schuf der brasilianische Tanzschaffende Alex Soares für das BTG „Predicativo do Sujeito“, ein humorvolles Werk, welches das enorme Potenzial von sieben Frauen und Männer zu Maurice Ravels „Bolero“ erforscht. 2014 wurde „Cinderella“, das 45 Jahren vorher der spanische Choreograf Gustavo Ramirez Sansano exklusiv für die Kompanie kreiert hatte, neu inszeniert. 2015 schließlich ging es wieder höchst zeitgenössisch zu mit „Orikis“ und „Trânsito“ von der Choreografin Ana Vitória. Zudem zeigte das BTG einen Klassiker in neuer Form: „Romeo & Julia“ choreografiert von Luiz Fernando Bongiovanni zur Musik von Sergei Sergejewitsch Prokofjew. Neben den jährlichen Neuproduktionen, der Repertoirepflege sowie den Gastspielen engagiert sich die Kompanie auch in vielen öffentlichen Projekten, um Tanz zu den Menschen näher zu bringen. Außerdem fördert die Truppe junge Choreografen und den Tanznachwuchs mit entsprechenden Programmen. Auf diese Weise trägt das BTG dazu bei, dass einerseits kulturelle Erbe des Bundesstaates Parana sowie Brasiliens bewahrt und vermittelt wird, andererseits zeitgenössisch weitergedacht und Neues entdeckt wird.