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Gespräche zu Stücken
Léonard Engel: Parotia



Léonard, Dein neues Stück heißt „Parotia“ – ein Stück für drei sich drehende Tänzer:innen. Parotia ist der Name eines Vogels, der in Neuguinea lebt. Während der Balz führt er ballerinaähnliche Tänze auf ...

Der Titel des Stücks bezieht sich auf den Vogel, weil dies das erste Bild war, das mir in den Sinn kam, als ich vor etwa vier Jahren Tanoura sah, einen ägyptischen Volkstanz, der eine der Inspirationen für das Stück ist. Tanoura ist ein Drehtanz, bei dem Tänzer verschiedene Tricks und Figuren mit mehreren großen, schweren Röcken vorführen. Während der Drehbewegung heben sich die Röcke und bilden eine Art Tutu, ähnlich wie beim Parotia! Damals recherchierte ich für mein erstes Stück, „Pavane“, das von den Paarungsritualen verschiedener Tierarten inspiriert ist, und ich dachte: „Wow, ich verbringe meine Tage im Studio und versuche, diese Vögel zu imitieren, und hier ist ein jahrhundertealter Drehtanz, der das schon die ganze Zeit tut“. Sowohl Tanoura als auch der Tanz der Parotia erreichen etwas, das mich fasziniert: das Verschwinden des Körpers durch die Bewegung. In beiden Fällen wird der Tänzer zu einer abstrakten Form, zu einem Kreis, der sich im Raum bewegt. Und diese Abstraktion ist eines der Elemente, mit denen wir im aktuellen Stück spielen.

Du bezeichnest „Parotia“ als eine transkulturelle Performance, die orientalische Drehtänze mit Volkstanzelementen wie Dirndldrahn und – mit ihrer skulpturalen Qualität – auch mit Künstlern wie Oskar Schlemmer und Loïe Fuller verbindet.

Das Drehen taucht in verschiedenen Kulturen und aus unterschiedlichen Gründen immer wieder auf: als Mittel, um einen tranceähnlichen Zustand zu erreichen (im antiken Griechenland), um sich mit einem Gott zu verbinden (Sama der Drehenden Derwische), um eindrucksvolle visuelle Effekte zu erzeugen (Tanoura) oder um die Unterwäsche bayerischer und Tiroler Frauen zu entblößen (Dirdnldrahn). Sogar im Ballett gibt es diese Tradition der 32 Fouettés. Der Hinweis auf Loïe Fuller und Oskar Schlemmer stammt von Tanoura selbst. Ob im Serpentinentanz, im „Triadischen Ballett“ oder in einer Tanoura-Performance, die Tänzer:innen nutzen ihre:n Körper nicht, um die Bewegungen zu zeigen, sondern ihre Kostüme und die Form, die sie damit schaffen können. Mit „Parotia“ wollte ich diese Bezüge und Dreh-Techniken zusammenbringen, um eine Performance zu kreieren, die sich an der Kreuzung dieser Einflüsse befindet. Es ist keine Tanoura-Performance, es ist kein Bauhaus-Stück, aber es verdankt sich all diesen Einflüssen.

Diese skulpturale Qualität des Stücks, also die Funktionalisierung der Bewegung zur Schaffung einer Form, ist Dir in „Parotia“ sehr wichtig...

Bei diesem Stück geht es mir darum, die Idee der kinetischen Skulptur zu erforschen. Durch den Akt des Drehens erhält jede weitere Bewegung eine andere Bedeutung, ein anderes Gewicht. Alle Bewegungen werden durch dieses Drehen geformt, und die Beziehungen zwischen den Darsteller:innen, dem Raum und den von ihnen geschaffenen Formen erhalten eine neue Qualität. Hinzu kommt, dass die Tänzer:innen mit sehr schweren, vielfarbigen Röcken bekleidet sind, die wir als Objekt behandeln, um den Körper der Performe:innen zu abstrahieren. Die entstandenen Formen leben nur durch die Zentrifugalkraft der Drehbewegung und würden auseinanderfallen, wenn die Performer aufhören würden, sich zu drehen.

Zuletzt: Léonard, du kommst eigentlich aus einer klassischen Ballettausbildung und warst 8 Jahre lang Solist beim Bayerischen Staatsballett - war deine liebste Figur die Pirouette?

Überraschenderweise nein! Ich mochte schon immer kleine Sprünge und petite batterie. Im Augenblich scheint Ballett so eine weit entfernte Erinnerung zu sein! Aber vielleicht komme ich auf die eine oder andere Weise darauf zurück. Letztes Jahr hatte ich die Gelegenheit, ein Ballettstück für die Schüler der Profi-Tanzschule von Castilla y León in Spanien zu choreografieren, und es hat mir wirklich Spaß gemacht. Ich finde es interessant, die neuen Perspektiven, die ich durch die Hinwendung zu einem experimentelleren Ansatz des Tanzes gewonnen habe, auf eine solche Institution wie das Ballett zu übertragen!

"Parotia" ist von 19.-21. November, 20:00 Uhr im schwere reiter zu sehen. Hier gibts die Tickets: schwere reiter

Erste Einblicke zeigt der Trailer

Mehr zu Léonard Engel auf seiner Homepage


Das Gespräch mit Léonard Engel führte Simone Lutz, Oktober 2021


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