|
> zurück
Mehr erfahren zu Tanz in München! Im TTmag sprechen Tanzschaffende über Ihre Ästhetik und Herangehensweise, werden Tanzformate und Münchner Tanzthemen unter die Lupe genommen!
|
|
Gespräche zu Formaten Johanna Richter + Birgitta Trommler über HIER=JETZT
Ihr habt 2016 zum ersten Mal HIER=JETZT veranstaltet bzw.die Plattform ins Leben gerufen. Was war Eure Motivation?
Birgitta: Der Beweggrund für HIER=JETZT war für uns die Beobachtung, dass der Tanz einfach nicht sichtbar war in der Stadt. Jede Choreografin und jeder Choreograf wartete auf die Förderung, spielte bei Erhalt drei Vorstellungen und damit war alles wieder vorbei. Wir wollten junge Choreograf:innen einfach ermutigen, sich zu melden und sichtbar zu werden.
Johanna: Und dann haben wir ohne jede finanzielle Hilfe die erste Plattform realisiert. Wir hatten nur den Raum und die Leidenschaft, etwas zu verändern.
Ihr bietet mit HIER=JETZT Choreograf:innen die Möglichkeit sich unter professionellen Bedingungen auszuprobieren, ohne dass Sie selbst Geld akquirieren müssen – wie ging es Euch bei Euren Anfängen?
Johanna: Aus unseren Anfängen künstlerisch zu arbeiten wissen wir, dass man mit künstlerischen Ideen nur weiterkommt, wenn man sie umsetzt und auf der Bühne erlebt. Konzepte bleiben Theorie, wenn man nichts ausprobieren kann.
Birgitta: Wir haben sofort gespürt, wieviel Talent und Schaffensdrang in der Stadt existiert. Vor allem auch wie viele interessante Ideen vorhanden sind, die mit Probenraum und kreativer Unterstützung unsererseits gezeigt werden können.
Ihr habt beide lange Jahre, nach Erfahrungen in der Freien Szene, fest an Stadt- und Staatstheatern gearbeitet. Du, Birgitta warst Leiterin Tanz an den Städtischen Bühnen Münster und am Staatstheater Darmstadt und Johanna, Du warst 13 Jahre lang Choreographer-in-Residence an der Schauburg in München. Inwiefern hat das Euren Blick auf tänzerischen und choreografischen Nachwuchs oder auch auf die Freie Tanzszene verändert?
Birgitta: Unser Blickwinkel hat sich nicht geändert, weil es immer wieder spannend ist, eine künstlerische Entwicklung zu beobachten. Nicht nur in den Anfängen vom TPM (TANZPROJEKT MÜNCHEN), sondern auch in den Theatern, wo ich mit eigener Gruppe gearbeitet habe, war es mir wichtig, den jungen Kolleg:innen eine Möglichkeit zu bieten, eigene Arbeiten zu entwickeln. Wie bei HIER=JETZT habe ich etwas in Bewegung gesetzt, was auch weiter ging, über den Ort des Anfangs hinaus.
Johanna: In der Zeit meiner Residence ist mir bewusst geworden, dass erst Kontinuität, in der man ein Ensemble und eine künstlerische Handschrift entwickeln kann, die Arbeit reifen lässt. Das ist das große Problem in der Freien Szene; es gibt kaum eine Chance auf Wachstum, weil es keine stabilen Strukturen gibt, in denen Künstler:innen aufgehoben wären. Wer kann in der Feien Szene schon, wie ich es in der Residence erlebt habe, eine Produktion in fünf Jahren 60 Mal spielen? Jetzt, da wir kontinuierlich Choreograf:innen der Freien Szene auf der Plattform erleben, sehen wir wieviel Potential es gibt, das wachsen kann.
Zunächst war HIER=JETZT konzentriert auf Münchner Choreograf:innen, ihr habt das dann geöffnet – wie kam’s?
Johanna: Wir haben ziemlich schnell Resonanz auch über die Grenzen Münchens hinaus bekommen. Auch schon auf den ersten Plattformen waren Gäste von „Außen“. Das hat dazu geführt, dass sich die lokalen Künstler:innen neue Netzwerke schaffen konnten, und sich inzwischen auch über München hinaus mit ihren Arbeiten zeigen können.
Wenn man sich die Programme der ersten HIER=JETZT-Jahre anschaut, fällt auf, dass anfangs neben jungen Choreografen auch oft schon etabliertere Kolleg:innen hier Kurzchoreografien gezeigt haben. Wenn ich das richtig sehe, hat sich im Laufe der Jahre der Aspekt eher verschoben hin zu einer auf Nachwuchs/Newcomer konzentrierten Plattform und formattechnisch zu Ausschnitten und work in progress?
Johanna: Die Vorstellungen, in denen wir Kurzchoreografien eingeladen hatten, und damit einen sogenannten „Tanztag“ ausriefen, können wir nicht mehr anbieten. Unser Budget reicht knapp, um den Teilnehmer:innen, die zur Stückentwicklung kommen, gute Ressourcen zu bieten. Das ist das Alleinstellungsmerkmal von HIER=JETZT: Ideen zu realisieren und nicht etwas Fertiges zu präsentieren.
Birgitta: Unsere Plattform hat das Konzept sich an Choreograf:innen zu wenden, die an einem neuen Stück arbeiten wollen. Das heißt, es geht hier nicht um Nachwuchs im „Tänzer-Sinne“. Jeder, egal in welcher Alters- gruppe, ist „Nachwuchs“, wenn es um die Entwicklung eines Stückes geht und man sich auf eine neue Ebene begibt.
Johanna: Es ist auch sehr reizvoll, dass sich unterschiedlich erfahrene Künstler:innen in dieser Labor-Situation begegnen und sich gegenseitig austauschen. Wo gibt es das sonst?
Die letzten zwei Jahre habt ihr HIER=JETZT als Online-Version wegen der Pandemie durchgeführt und das auch als solidarischen Akt mit den Künstler:innen verstanden. Hat das auch für die Zukunft Potential bzw. hat das die Tools verändert, mit denen ihr drangeht? Ich glaube, die Teilnehmer:innen bekommen seit den Anfängen von HIER=JETZT für ihre Zwecke professionelle Fotos und jetzt auch Filmmaterial, oder war das schon immer so?
Johanna: Schon immer haben die beteiligten Künstler:innen Videoaufzeichnung und Fotodokumentationen von ihren Arbeiten bekommen. Seit der „Corona-Edition“ 2020 – mit der wir quasi die letzten offenen Räume geschaffen haben, in denen sich Künstler*innen im „Lockdown der Künste“ mit ihren Arbeiten verwirklichen konnten – haben wir die Videoaufzeichnung noch einmal mehr fokussiert. Es wird aufwendiger gefilmt, die Videos werden geschnitten, und dann auf Internetportalen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 2020 und 2021 wurde dadurch der Radius der Plattform um einiges größer. Auch wenn wir jetzt für 2022 mit Live-Performances rechnen, werden wir die hohe Qualität der Videos fortsetzen. Wir sind und bleiben so eine dauerhaft präsente Plattform auch in digitalen Netzwerken ("Vimeo HIER=JETZT").
Wenn ihr die Jahre seit 2016 betrachtet, gibt es bei den Teilnehmer:innen irgend etwas von dem ihr sagt: Da hat sich was sehr gewandelt?
Birgitta: Stolz sind wir auf die Tatsache wieviele unserer Teilnehmer:innen, die auf der Plattform angefangen haben, jetzt über die Grenzen Münchens hinaus arbeiten und ihre Produktionen zeigen. Viele haben die Ansätze bei uns erprobt und dann mit dem hier gewonnenen Material die Ressourcen bekommen, ein abendfüllendes Stück zu realisieren. Auch die bei HIER=JETZT entstandenen Netzwerke haben Wirkung gezeigt. Durch die jährliche Präsenz der Plattform sehen wir auch, wie Newcomer weiterkommen, sich entwickeln, eine Handschrift finden. Das ist natürlich der Gewinn, wenn man öfter an der Plattform teilnehmen kann und immer wieder neu seine Arbeit mit Kolleg:innen diskutiert.
HIER=JETZT 2022 und folgende - was wünscht ihr Euch für die Plattform?
Johanna: Wir würden uns wünschen, dass wir nicht jedes Jahr von Neuem das Budget beantragen müssten, und da- mit eigentlich erst kurz vor Beginn der Plattform wissen, wieviel wir zur Verfügung haben. Planungssicherheit wäre extrem wichtig. Von Wachstum ganz zu schweigen. Man überlege, wie nachhaltig es wäre, kontinuierlich so ein Labor-Format in der Stadt zu haben? Wie viel lebendiger die Szene dann noch wäre und würde ....
Die öffentlichen Open Space von HIER=JETZT 2022 finden von 28. April − 01. Mai 2022 im schwere reiter statt: HIER=JETZT 2022
Eintritt frei Kein Vorverkauf, kostenfreie Tickets nur an der Abendkasse ab 30 Minuten vor Beginn der Vorstellung erhältlich
Das Gespräch mit Johanna Richter + Birgitta Trommler führte Simone Lutz, März 2022
Tanztendenz München e.V. wird gefördert durch das Kulturreferat der LH München
|
|
|
|