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Gespräche zu Stücken Micha Purucker: splitter + stream / rhetorics of flesh
Micha, für mich bist Du der Meister der poetisch-erratischen Titel, Dein neues Stück beispielsweise heisst „splitter + stream / rhetorics of flesh“ – wie kommst Du auf Deine Titel?
Im Oktober haben wir ja ein Stück mit dem Titel „threads + knots“ im alten schwere reiter gespielt. Für dieses Vorhaben und auch für das jetzige Stück hatte ich fast zeitgleich die Anträge geschrieben, und wollte damals diese formale Vorgabe – zwei Begriffe innerhalb derer sich etwas entwickelt oder entspannt – nochmal anders packen. Deshalb habe ich mir einen ähnlichen Titel gebastelt. Wie es dann so ist, es vergeht ein Jahr zwischen Antragstellung und Ausführung, man ist an einer anderen Stelle und „splitter + stream“ ist jetzt ganz anders, als ich mir das damals vorstellte.
Was war denn Deine Vorstellung ursprünglich?
Es sollte, was ich ja schon oft gemacht habe, um Kontextualisierung von Bewegung in zwei Stücken gehen, von denen eines mit Sprache und eines mit Bildern arbeitet. „splitter“ wären sprachliche Einwürfe gewesen, weil die sehr scharf, sehr präzise, sehr wirkmächtig sind und „stream“ ein visueller Fluss unscharfer Bilder, die in manchen Momenten ihre Schärfe finden. Aber schon in der Vorbereitung kam mir das dann zu didaktisch vor; auch hatte ich das Gefühl, die Frage, die ich mir da stellen wollte, eigentlich schon abgehakt zu haben. Und jetzt, wo wir fertig sind, muss ich sagen, „splitter + stream / rhetorics of flesh“ ist wie das letzte Stück mit dem Tänzer Michael Heriban wieder in gewissen Sinne ein Corona-Stück geworden. Obwohl ich das gar nicht machen wollte. Aber man kann sich ja seiner Zeit nicht entziehen. Diesmal ist es eine Implosion, auch eine, die zu tun hat mit dem Medienkonsum, denn während der Pandemie habe ich soviel Medien verballert, wie niemals in meinem Leben zuvor.
Das hat wahrscheinlich jeder…
Eben, und deshalb – wegen diesem visuellen Dauerbeschuss, den alle hatten – wollte ich das jetzt nicht mehr im Stück haben. Generell interessiert mich die Wirkmächtigkeit der Medienbilder, dazu habe ich ja auch schon mehrere Stücke gemacht, wie „examining pictures“ oder „xxl-re.enactment“. Auch „splitter + stream / rhetorics of flesh“ ist irgendwie ein Stück dazu, aber mit einer völlig anderen Lösung, da es versucht, sich den Bildern zu entziehen. Und auch als wir im Probenprozess das Bewegungsvokabular dann hatten, das ein sehr, sehr konzentriertes ist, da habe ich gedacht: Nee, ich will Michael Heriban ganz fokussiert zusehen können, ich möchte ihn nicht beballern mit Bildern und damit das aufgreifen, was ich eigentlich problematisieren wollte…. Es ist jetzt eine sehr reduzierte Version, es ist räumlich reduziert, es ist personell reduziert, es ist von den Bewegungen her sehr verhalten.
Ich tippe jetzt mal, dass minimalistisch ein Wort ist, dass Du nicht magst…
Ja, minimalistisch ist falsch; und mit meinem Hang zum Barock geht es mit dem Minimalismus mit mir meist eh nicht gut. Vielleicht könnte man sagen, das Stück ist minimalistisch in der Ausführung, aber es ist natürlich in dem, was es – zumindest für uns – transportiert ,überhaupt nicht minimalistisch, sondern eher reich finde ich, sehr emotional. Aber es ist nicht raumgreifend und wir knattern jetzt nicht mit Tricks und irren Bewegungen. Es sind eigentlich einfache Sachen, aber es ist irre ‚dancy‘ und das kann halt nun mal der Herr Heriban – das macht er toll. Er schafft es, den Flow mit so wenig am Laufen zu halten, das muss man erst mal hinkriegen. Es ist eine sehr versteckte Virtuosität.
Da kommt jetzt dann vermutlich der zweite Titel ins Spiel „rhethorics of flesh“?
Im Deutschen klingt das ja so hölzern – Beredsamkeit des Leibes – aber natürlich geht es darum – immer! Was spricht denn da, oder was sieht man da, was ist das, wenn wir Tanz anschauen. Irgendwie ‚lesen‘ wir ja Bewegung, das heißt ‚lesen‘ tun wir Bewegung ziemlich sicher nicht – das ist eine hübsche Metapher, aber irreführend, denke ich. Denn es gibt ja diese Begrifflichkeit, mit der wir lesen nicht, es gibt diese Zeichen so nicht, wir haben uns nicht auf etwas geeinigt wie "Bein hoch heißt Jubel" etc. Das ist viel, viel persönlicher – sowohl in der Rezeption als auch im Machen und Finden – aber natürlich gibt es diese Beredsamkeit, sonst würde ein Tanzstück einem ja gar nichts sagen.
Du nennst „splitter + stream / rhetorics of flesh“ ja auch ein kleines, intimes Format – bezieht sich das auch auf das Publikum?
Das hat etwas damit zu tun, wie man schaut und betrachtet. Groß heißt eigentlich immer irgendwie in Mustern schauen, im Kleinen ist ein spezieller Fokus nötig, es ist eine andere Art der Betrachtung, ein Kucken in Großaufnahmen. Das Tolle an den westlichen Tanztechniken ist, dass sie räumlich so dynamisch sind, ein Erbe des klassischen Balletts. Und dann gibt es die anderen Traditionen, beispielsweise im asiatischen Raum, wo man sich viel mehr an der Figur bricht. Diese Reduktion der Dynamik, das die sich nicht im Raum, sondern am Körper bricht, das fand ich immer schon interessant und habe das mit ein paar Filmen für mich allein probiert und jetzt eben auch in dieser Produktion. Aber natürlich ist dabei auch immer die Frage: Wie begegne ich der Erwartungshaltung der Zuschauer, wie gehe ich verantwortlich mit ihr um. Bei kleinen Sachen muss ich dem Publikum die Möglichkeit geben anders zu sehen. Es ist ja auch eine Anstrengung, etwas Ungewohntes, weil wir kriegen es hier ja alle reingeballert; wir haben sehr viel Lautes, schnelle Schnitte, pralle Bilderwelten: the bunter the better, the faster, the bigger…
Durchaus opulent bis Du ja aber glaub ich auch in diesem Stück im musikalischen…
Es gibt für meine Arbeiten immer einen starken popkulturellen Hintergrund. Die Wirkung, die speziell Musik aus dem popkulturellen Feld hat – den Wumms dahinter, manchmal das filmische Element – das mag ich schon sehr. Die Komposition von „splitter + stream / rhetorics of flesh“ beruht auf Songstrukturen d.h. es sind 5-Minuten-Päckchen, die dann wie bei einem Album dramaturgisch zusammengestellt werden. Das war für mich neu, so habe ich noch nie gearbeitet – also ich hatte auch immer choreografische Päckchen, aber halt keine musikalischen.
Was ist der Unterschied, ob Du musikalische oder choreografische Päckchen hast?
Der Zeitfaktor, die Zeitvorgabe. Bei choreografischen Bausteinen kann ich mich ja von choreografischen Themen leiten lassen, und wenn die durch sind, dann mache ich ein Päckchen zu und fange ein neues Themenpaket an. Aber wenn du dich nach musikalischen Bausteinen richtest, dann hast Du eine feste Zeitdramaturgie, an der man sich entlanghangelt.
Wie eine Blende im Film, also Black und Szenenwechsel?
Genau. Deshalb ist das Stück für mich auch ein Solo in 8 Episoden.
Aber ‚Blacks‘ machen wir keine dazwischen ...
„splitter + stream / rhetorics of flesh“ ist am 14. + 15. Januar 2022, 20:30 Uhr im schwere reiter zu sehen. Hier gibts die Tickets: schwere reiter
Mehr zu Micha Purucker auf seiner Homepage
Das Gespräch mit Micha Purucker führte Simone Lutz, Januar 2022
Tanztendenz München e.V. wird gefördert durch das Kulturreferat der LH München
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